Abb.: Aus dem Fotoalbum von Mirek Zoladkiewicz, in der Wohnsiedlung Otto-Heinig-Straße, mit dem polnischen Fußballteam und mit polnischen Arbeitskollegen am Bärenbrunnen vor dem Kulturhaus Espenhain um 1974.
Mirek Zoladkiewicz, ehemaliger polnischer Arbeiter in Espenhain
Ich bin 1955 geboren und kam 1974 mit 18 Jahren nach Espenhain. Damals fuhr ich mit dem Zug nach Leipzig und von dort mit einem Bus nach Espenhain. Um die 150 polnische Arbeiter der polnischen Bergbauingenieur-Firma „Kopex“ wurden in den Neubaublöcken auf der Otto-Heinig-Straße untergebracht. Es gab Zweiraumwohnungen für vier Personen oder Dreiraumwohnungen für sechs Personen. Um 6 Uhr früh standen wir alle auf, gingen zum Aspenhof13 und fuhren von dort mit Bussen in den Tagebau. Ich war zuerst in Zwenkau beim Gleisbau beschäftigt. Gleise „auskoffern“ hieß das. Es handelte sich um schwere körperliche Arbeit mit Hacke und Spaten. Dafür fehlten wohl Arbeiter in der DDR. Ich bekam 470 Ostmark raus. Die andere Hälfte ging auf das polnische Konto. Das war eigentlich gut bezahlt, deswegen kamen wir hierher. Ich erinnere mich, dass zusätzlich untereinander gehandelt wurde. Die polnischen Arbeiter verkauften Schlager-Süßtafeln in Polen und brachten Lederjacken zum Verkauf in die DDR mit. Wir arbeiteten immer in einer Gruppe von circa zehn Mann, unser Brigadier konnte Deutsch und bekam von den DDR-Kollegen gesagt, was zu tun war. Kontakt mit den anderen DDR-Arbeitern hatten wir in den Umkleidekabinen, in den Pausen beim Kaffee und wenn wir mit den Autos in den Tagebau einfuhren. Ansonsten waren wir größtenteils unter uns. Wir waren nur Männer. Ich sprach damals gar kein Deutsch. Eine Freundin gab mir vor meiner Abreise den Tipp, ich solle immer sagen „Ich nix verstehen.“ Einmal pro Woche gingen wir zum Deutschkurs. Aber viel lieber gingen wir ins Kulturhaus Espenhain. Da gab es viele Anlässe zum Feiern: Fasching, Frauentag, Jugendtanz. Wie sagt man so schön, da gingen
wir auf die „Pirsch“. Dort lernte ich auch meine Frau kennen. Ich sprach noch kein Deutsch. Ich trug immer ein deutsch-polnisches Übersetzungstaschenbuch bei mir und führte auch ein eigenes Vokabelheft. Es gab unter anderem auch negative Kommentare meiner Kollegen zu meiner deutschen Freundin. Die hatten ja ihren Nationalstolz.
Offiziell waren die Menschen aus der DDR zwar unsere sozialistischen
Freunde. Wir hatten damals jedoch nur russische und polnische Filme gesehen, und darin waren die Deutschen immer die Bösen. Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Polen gab es manchmal auch, meist war Alkohol im Spiel. 1975 ging ich dann für zwei Jahre zur Armee. Noch während dieser Zeit heiratete ich meine damalige Freundin, das erste Kind war schon unterwegs. Damit war auch die Entscheidung gefallen, in Espenhain zu bleiben. Ich komme selbst aus einem polnischen Steinkohlerevier in Piekary in Niederschlesien. Dort wohnte ich in einer Neubausiedlung. Die Umwelt sah in Espenhain jedoch ähnlich aus. Dieser verfaulte Eiergestank, der durch die Braunkohleverarbeitung entstand… Wenn das heute noch so wäre, würde die Hälfte wegziehen. Wenn sich der Wind drehte, gabs hier unglaublichen Smog, Dreck und Gestank. Das Heiraten war ein großer Verwaltungsaufwand. Ich musste diverse Dokumente in Polen besorgen und amtlich beglaubigt übersetzen lassen. Bei der Hochzeit waren die meisten Gäste Freunde von meiner Frau. Ich war ja schon lange weg aus Polen und hatte meine damaligen Kumpels lange nicht gesehen. Der Kontakt verlor sich irgendwie. Wir hatten ja keine Telefone und fuhren zum Telefonieren extra nach Leipzig. Hier hatte ich auch noch nicht so viele Freunde, einen sehr guten polnischen Kumpel allerdings. Der ist irgendwann nach Westberlin gegangen, ich besuchte ihn dort. Ich hätte auch dorthin gehen können. Aber ich blieb dann bei meiner Frau, sie hätte ja nicht so einfach mitkommen dürfen. Trotz der vielen guten Erfahrungen, Freundschaften und guten Zusammenarbeit mit den deutschen Kollegen musste ich auch mit manchen Kränkungen leben. Ich hab aber eigentlich immer versucht, Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen. Zur Wendezeit bestellte mich mein damaliger Chef in sein Büro und fragte nach, ob ich hier überhaupt noch arbeiten darf. Um mehr Sicherheit für mich und die Familie zu erlangen, beantragte ich deswegen die deutsche Staatsbürgerschaft. Ich wollte ja nicht zurück nach Polen und hatte dort auch keine persönlichen Verbindungen. 1991/92 ungefähr wurde ich wieder ins Werk einberufen, wo man mir schließlich meine Kündigung mitteilte. Ich empfand das damals als ungerecht und unsozial. Ich hatte schließlich drei Kinder zu Hause. 15, 13 und zwei Jahre waren die damals alt. Ich habe viele Jahre gut gearbeitet. Ab da war ich erstmal arbeitslos. Ich lernte und arbeitete danach viele verschiedene Dinge. Ich hab mich eben gut gekümmert. Aber zu DDRZeiten dachten wir nie über eine Entlassung nach, und die Miete kostete 80 Mark. Jetzt ist das immer mit im Hinterkopf und jeder hat so einen… heute sagt man Druck dazu. Man musste sich immer besonders anstrengen für den Chef. Es spornte aber auch an. Ich bin über Umwege eigentlich wieder zu meinem erlernten Beruf gekommen, Kfz-Mechaniker. Jetzt lebe ich schon 46 Jahre hier. Wir fahren eigentlich nie nach Polen. Meine Kinder sprechen auch kein Polnisch. Damals hatte ich einfach keine Zeit, ihnen das beizubringen, und wir hatten auch keine regelmäßigen Aufenthalte in Polen. Ich selbst spreche nur Deutsch, lese auf Deutsch und schau mir alles auf Deutsch an. Neue polnische Wörter kenne ich gar nicht mehr, z.B. „Handy“, das habe ich neulich recherchiert. Es heißt „Komórka“, das bedeutet eigentlich „Nische“. Wenn du im Gespräch bist, bist du erstmal weg. Ich weiß nicht genau, wer die Fahrer mit den polnischen Kennzeichen sind, die hier in Espenhain auf der Otto-Heinig- Straße parken. Sie arbeiten eventuell hier. Beim Autobahnbau vielleicht? Ich habe keinen Kontakt zu ihnen.
13 Vorplatz vor dem Gasthof Aspe in Espenhain.