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Herr X.*

ehemaliger Vertragsarbeiter in der Brikettfabrik Thräna

Ich kam mit 18 Jahren aus Nordvietnam als Vertragsarbeiter in die DDR. Das war am 18. Oktober 1989, an dem Tag trat Erich Honecker zurück. Kurze Zeit später war der Mauerfall. Ich wusste bei Antritt meiner Reise nichts von diesen Umbrüchen. Ich wohnte in Rötha in den Wohnblöcken, wo heute das Hotel ist. Dort waren meiner Erinnerung nach nur junge Männer aus Vietnam untergebracht. Vielleicht waren da auch fünf Frauen untergebracht, die haben eventuell in den Küchen der Werke gearbeitet. Da bin ich mir aber wirklich nicht sicher, es ist schon so lange her. Wir lebten, soweit ich mich erinnere, zu neunt in einer Vierraumwohnung, jeweils zu zweit, zu dritt oder zu viert in einem Zimmer. Es gab Betreuer, die kontrollierten, wann wir nach Hause kamen und ob wir Besuch mitbrachten. Ich weiß nicht genau, ob Besuch überhaupt erlaubt war. Ich selbst hatte keinen Besuch, da ich niemanden aus dem Ort kannte außer die Vietnamesen. Ich arbeitete bis 1990 in einer Brikettfabrik in Thräna. Das war eine sehr alte, marode Fabrik. Die Arbeit war nicht so hart wie heute, aber es war sehr dreckig. Wir Vietnamesen arbeiteten dort zusammen mit Deutschen und Mosambikanern. Wir verstanden uns eigentlich gut und hatten auch Spaß zusammen. Beim Arbeiten konnten wir jedoch nicht viel reden. Ich sprach auch kaum Deutsch. Die Mosambikaner waren schon länger da, die sprachen sehr gut Deutsch.
Wir hatten auch Dolmetscher, zu denen wir gingen, wenn wir etwas brauchten. Ich erinnere mich an eine gemeinsame Freizeitveranstaltung, die das Braunkohlewerk Borna für uns organisierte, eine chinesische Neujahrsfeier. Die Veranstaltung war aber nur für uns Vietnamesen.
Wir waren oft getrennt von den DDR-Bürgern. Deshalb lernte ich auch die Sprache nicht so gut. Aber ich war quasi nur ein Jahr in der DDR.
Die Wende war eine Katastrophe für uns. Ich wurde arbeitslos und musste mich entscheiden: Entweder ich bekomme 3000,- DM Abfindung und gehe nach Vietnam zurück oder ich bleibe hier und bekomme gar nichts. Ich wollte aber nicht zurück. Ich war noch sehr jung und die wirtschaftliche Lage in Vietnam war in dieser Zeit sehr schlecht. Außerdem war ich gerade einmal ein Jahr hier. Wir mussten aus den Blöcken ausziehen und die Stadt wies uns ein anderes Haus zu. Dort überfielen uns 1991 oder 92 einmal vier rechtsradikale Jugendliche. Sie zerstörten die ganze Wohnung und schlugen einige Anwesenden zusammen. Ich wurde nicht verletzt, ich bin abgehauen. Die Polizei kam, aber es wurde nie so richtig aufgeklärt. Das war eine schwere Zeit. Es war nicht möglich, Arbeit in deutschen Firmen zu finden. Ich denke, wegen der Sprache und der Kultur. Bei anderen ausländischen Firmen oder Restaurants war das leichter. Viele Vietnamesen gingen deswegen in die alten Bundesländer, um Arbeit zu finden. Wir mussten ja immer Arbeit haben und uns das vom Arbeitgeber bescheinigen lassen, um aller zwei Jahre unsere Aufenthaltsgenehmigung verlängern zu können. Ich ging zuerst nach
Köln, um dort in einem chinesischen Restaurant zu arbeiten. In dieser Zeit besuchte ich ab und zu meinen vietnamesischen Freundeskreis hier in der Gegend. So lernte ich meine heutige Frau kennen. Ich kam deswegen wieder zurück in diese Gegend. Ich bin heute sehr zufrieden mit meiner Arbeit. Bitte veröffentlichen Sie weder meinen Namen noch konkrete Angaben zu meinem derzeitigen Wohn- und Beschaftigungsort oder meiner Familie.

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