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Abb.: Nguyen Hong Trung und Christina Schwenke als junges Paar um 1994.

Christina Schwenke, Lebensgefährtin des
ehemaligen Vertragsarbeiters Nguyen Hong Trung (†), Rötha

Ich lernte meinen späteren Lebensgefährten Nguyen Hong Trung Ende der 80er-Jahre kennen, da war ich circa elf Jahre alt. Verliebt haben wir uns erst viel später. Er war sieben Jahre älter und kam mit 18 Jahren aus Hanoi in Nordvietnam in die DDR. Er war Hilfsarbeiter in Großzössen. Er wohnte mit vielen anderen Vietnamesen in den Blöcken auf der Ernst-Thälmann-Straße, da wo heute das Hotel ist. Die lebten da recht beengt, teilweise zu zweit in einem Zimmer oder sogar zu dritt in einem der größeren Räume. Privatsphäre gab es nicht so richtig. Ich kann mich nur an wenige vietnamesische Frauen erinnern und bin mir nicht sicher, ob sie auch in den Blöcken wohnten. Wir spielten damals immer auf dem Sportplatz Fußball mit den jungen Männern. Wir verstanden uns sofort sehr gut, er war sehr offen und interessiert an Fremdsprachen. Er hatte viele Freunde, nicht nur Vietnamesen. So, wie ich es damals mitbekam, hatte er trotzdem auch ab und zu Heimweh. Er wollte zwar gern in die DDR kommen, vor allem, um hier später zu studieren. Er sollte ursprünglich in einer Textilfabrik in Halle arbeiten, wurde jedoch plötzlich als Hilfsarbeiter eingesetzt. Die Lebensverhältnisse waren hier auch nicht unbedingt besser für ihn als in Hanoi. Er kam aus einer relativ gut gestellten Akademikerfamilie. Deswegen hatte er damals Schamgefühle für seine Tätigkeiten hier. Er erzählte mir, dass er alles als grau und trist empfand, als er ganz neu hier ankam, mitten im Herbst. Die Winter waren am Anfang nicht einfach für ihn. Er fror immer so sehr. Richtig geklappert hat er! Sein Vertrag war auf sechs Jahre angelegt. Einerseits waren die Vietnamesen isoliert in den Wohnblöcken. Andererseits wurden Röthaer und Espenhainer von den Betrieben dazu aufgefordert, die jungen vietnamesischen Vertragsarbeiter in ihre Familien zu integrieren. Meine Eltern hatten daher sehr viele intensive freundschaftliche Kontakte zu Vietnamesen. Nach der Wende sollten die vietnamesischen Arbeiter sofort zurückkehren. Einige wollten auch nach Hause, sie waren schließlich noch sehr jung, als sie in die DDR zum Arbeiten geschickt wurden, und waren wohl teilweise nicht ganz freiwillig hier. Die Vietnamesen, die hier bleiben wollten, hatten es nicht leicht. Zum Beispiel wurden sofort die Mieten in den Wohnblöcken unglaublich erhöht und sie konnten sich ihre Zimmer nicht mehr leisten. 30 Mark pro Nacht kostete ein Bett! Nur wer Unterstützung hatte durch Familien oder Freunde, bei der Wohnungssuche etwa, hatte eine Chance, hier weiter klarzukommen. Es war für sie auch nahezu unmöglich, in den ostdeutschen Bundesländern einen Job zu bekommen. Mein Freund arbeitete auch erstmal in den alten Bundesländern. Danach machte er eine Umschulung zum Energieelektroniker, die wurden damals gebraucht. Aufgrund seiner Herkunft hatte er jedoch keine Chance, hier eine Stelle zu bekommen. „Sollen wir noch einen Dolmetscher einstellen?“ Sowas kam dann. Viele Vietnamesen gingen nach Leipzig oder gleich in die alten Bundesländer. Oder sie verkauften hier erstmal auf den Märkten Kleidung, CDs und Kassetten. Die meisten machten sich selbständig. Trung wollte ja eigentlich immer studieren und Kinderarzt werden. Aber sein Abitur aus Vietnam wurde ihm hier nicht anerkannt. Finanziell und zeitlich war es für ihn leider nicht zu packen, das abends nach der Arbeit noch nachzuholen. Wir eröffneten später zusammen ein Bistro in Espenhain, „Truck Stop“ hieß das. Er kam in Espenhain immer gut an, kam schnell ins Gespräch, war wie ein Magnet für die Menschen und hatte viele deutsche Freunde. Er fühlte sich hier wohl. Und was ich am bemerkenswertesten fand, dass er immer versuchte, etwas Gutes in ihnen zu sehen. Rassistische Kommentare gab es auch. Das war aber nicht neu. Zu DDR-Zeiten kam schon ab und zu sowas wie „Die Vietnamesen kaufen uns den ganzen Reis weg“. Aber nach der Wende wurde das mehr. Trotzdem standen die Rechten am Bistro von unserem Kumpel an, um sich Asianudeln zu kaufen. Unseren drei gemeinsamen Kindern sieht man die Herkunft des Vaters an. Ich hatte daher immer auch Angst um meine Kinder und versuche, sie in ihren Persönlichkeiten zu bestärken und zu schützen. Das war auch oft Thema bei ihnen. Sie wurden sogar beschimpft von älteren fremden Personen. Aber im Freundes- und Bekanntenkreis gibt es diese Probleme zum Glück nicht. Sie haben wirklich sehr reflektierte tolle Freunde. Ich glaube, dieser Hintergrund und die gemachten Erfahrungen, als anders wahrgenommen zu werden, treiben meine Kinder sicher an, sich in die Lage vieler anderer zu versetzen und sich gesellschaftlich zu engagieren. Meine älteste Tochter möchte demnächst für ein Jahr in Vietnam studieren und Vietnamesisch lernen. Sie wird bei der Familie meines Lebensgefährten leben. Mit ihnen halten wir seit vielen Jahren weiterhin Kontakt. Wir haben sie auch mehrmals besucht. Mein Lebensgefährte ist leider vor zehn Jahren verstorben. Wir hatten nie geheiratet. Das bereue ich heute. Damals war ich noch so jung, 17 Jahre ungefähr, da sprachen wir eine Zeit lang davon, wegen seiner Aufenthaltsgenehmigung. Die hatte er dann aber auch ohne die Heirat bekommen, und ich meinte damals, so jung müssen wir doch nicht heiraten. Heute weiß ich, das war der Mann meines Lebens.

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