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Abb.: Irene Torka mit kubanischen Arbeiterinnen bei Ausflügen nach Leipzig, aus dem Privatalbum von I. Torka.

Gespräch mit Irene Torka, ehemalige Betreuerin von Arbeiter*innen aus dem sozialistischen Ausland im Werk Espenhain

Ich arbeitete zwischen 1983 und 1987 im Braunkohlenwerk Espenhain im Direktorat Ökonomie, Arbeitsgruppe „Ausländische Werktätige“. Ich betreute Vertragsarbeiter aus Kuba, Vietnam, Polen, Algerien, Mosambik. Ich übernahm organisatorische Tätigkeiten, organisierte kulturelle Aktivitäten wie Ausflüge, Grillabende und führte Kontrollen an den Arbeitsplätzen durch. Ich erkundigte mich, ob Zufriedenheit herrscht oder ob es Probleme gibt, wie sie miteinander klarkommen und inwiefern das kollegiale Miteinander funktioniert. Es gab eigentlich kein Fremdeln und wir konnten uns gut verständigen. Die ausländischen Arbeiter wurden in den Abteilungen aufgenommen, waren integriert und in gemeinsame Aktivitäten mit den DDR-Kollegen einbezogen. Sie verdienten genauso viel wie die DDR-Bürger, erhielten allerdings erstmal die niedrigste Lohngruppe. Untergebracht waren die kubanischen Arbeiter in Baracken im Wohngebiet auf der Otto-Heinig-Straße, wahrscheinlich zwei Personen in einem Zimmer. Die Baracken waren gut ausgestattet mit Zentralheizungen und neuen Möbeln. Die Arbeiter aus Polen lebten in den Wohnungen im Neubaugebiet, die vietnamesischen Arbeiter in den Punkt- Hochhäusern in Rötha, wahrscheinlich immer zwei bis drei Personen in einem Raum. Wir Mitarbeiterinnen mussten das Haus – heute ein Hotel – selbst vorher komplett desinfizieren, da gabs keine Reinigungsfirma. Besonders gern erinnere ich mich an die Arbeiterinnen aus Kuba. Ich hatte circa drei Jahre täglichen Kontakt mit dem Gruppenleiter Ariel und dem Dolmetscher Ricardo. Die sprachen beide sehr gut Deutsch. Ich fuhr oft mit einer Gruppe junger Arbeiterinnen aus Kuba zum Einkaufen nach Leipzig. Die Frauen hatten bei der Ankunft wenig Winterkleidung, mussten sich das also hier besorgen. Es gab aber wenig Auswahl. Deshalb trugen schließlich alle braune Hosen und blaue Winterjacken, dieselben Modelle, wie Uniformen. Über die Zeit kleideten sich die Frauen aber nach und nach ein. Ich bewunderte sie sehr. Sie waren so locker und unverklemmt und trugen, was sie wollten. Sie tanzten so gut und gern und hemmungslos. Sie lachten viel und kochten, was das Zeug hielt. Die Frauen hatten sicher auch Sehnsucht nach Hause, die waren alle ja noch so jung, Anfang zwanzig. Telefonieren ins Ausland war bestimmt gar nicht möglich. Ob die das überhaupt durften? Sie schrieben und erhielten vielleicht Briefe. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, wie sie damals Kontakt hielten. Zur Wendezeit waren meiner Erinnerung nach nur noch polnische Arbeiter da. Von ihnen blieben einige hier, gründeten Familien. Allgemein gab es schon immer viele polnische Monteurarbeiter hier. Hier in Espenhain erlebte ich ab 1990 keine Ausschreitungen oder Anfeindungen, aber die Vertragsarbeiter waren ja alle, soweit ich das weiß, schon vorher weg. Die Menschen in der DDR waren aber meiner Meinung nach anders eingestellt zu DDR-Zeiten, wir legten sehr viel Wert auf Kollegialität. Die Kontakte brachen alle ab. Ich hatte auch keine Privatadressen von ihnen. An eine Verabschiedung kann ich mich nicht mehr erinnern. Es herrschte ab 1990 ein Durcheinander im Betrieb. Ich war dann im Lohnbüro und noch bis 2001 im Betrieb von MBS⁸. 2001 wurde ich dann entlassen. Ich persönlich kannte nur einen Mann, der als Vertragsarbeiter aus Vietnam hierherkam und blieb. Trung, er hatte eine Cafeteria in Espenhain. Er verstarb leider schon früh. Seine Freundin Christina Schwenke wohnt heute in Rötha. Sie haben drei gemeinsame Kinder.⁹

8 Mitteldeutsche Bergbauservice Service GmbH.

⁹ Dem Gesprächsverlauf entsprechend wurde nicht gegendert.

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